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Knochenaufbau aus eigenen Zähnen

Tilman Flechsig • Nov. 03, 2021

Eine neue Methode des Knochenaufbaus vermeidet die Anwendung körperfremder Materialien

Es klingt ein wenig verrückt. Man kann aus gezogenen Zähnen neues Knochenmaterial aufbauen? Und wozu sollte man das tun?


Auch wenn wir heutzutage sehr viel für den Erhalt von Zähnen tun können, müssen in Einzelfällen immer noch Zähne entfernt werden. Die Gründe hierfür können ein starker Zerstörungsgrad, eine zu geringe Verankerung des Zahnes im Knochen oder eine nicht beherrschbare Infektion im Kieferknochen sein.


Durch den Verlust des Zahnes wandelt sich der Kieferknochen um. Nach der oberflächlichen Heilung wird das knöcherne Zahnfach vom Körper rasch abgebaut. Knochen ist für den Körper ein "teures" Gewebe, und ohne die funktionelle Kaubelastung durch einen Zahn gibt es für den Körper keinen Grund mehr, das knöcherne Zahnfach zu erhalten. Allein im ersten Jahr nach der Zahnentfernung gehen 50% des umgebenden Knochens verloren! Das ist insbesondere dann von Nachteil, wenn geplant ist, später ein Implantat für den Ersatz des Zahnes zu setzen. Ohne kiefererhaltende Maßnahmen reicht oftmals der nach der Heilung verbliebene Knochen nicht mehr aus, ein hinreichend großes Implantat einzusetzen bzw. dieses auch ideal zu positionieren.

Aus diesem Grund werden seit vielen Jahren Knochenersatzmaterialien aus tierischem, pflanzlichen oder mineralischen Ursprung  verwendet, um die Schrumpfung des Kieferknochens aufzuhalten und dadurch die ursprünglichen Dimensionen zu bewahren.

Allen diesen Materialien fehlt aber die "osteoinduktive Potenz", d. h. die Fähigkeit, dem Gewebe artspezifische Informationen zu liefern, die knochenbildende Zellen zur Produktion von Knochen anregen. Diese Information liefern nur spezifische Eiweißstoffe ("bone morphogenic proteins"), die natürlicherweise im Knochenmineral eingelagert sind und die z. B. bei einem Knochenbruch durch "Knochenknabberzellen" (sog. Osteoklasten) freigelegt und knochenaufbauenden Zellen (sog. Osteoblasten) präsentiert werden. Erst durch diesen Vorgang wird die Knochenbildung in der Wunde optimal stimuliert.


Aus diesem Grund war jahrelang der Goldstandard zum Ersatz von Knochen - körpereigener Knochen! Dieser musste in verschiedenen Spenderregionen "gewonnen" werden, was für den Patienten oftmals eine weitere Operation bedeutete. Allerdings war schon länger bekannt, dass das Zahnbein (Dentin) eine fast identische Mineralzusammensetzung und die gleichen Eiweißstoffe wie Knochen besitzt.

Verschiedene Forschergruppen haben untersucht, wie körpereigenes Zahnmaterial als bioaktives Material zum Erhalt bzw. zum Aufbau von Knochen verwendet werden kann. Insbesondere die Verwendung gezogener patienteneigener Zähne weckte im letzten Jahrzehnt das Interesse der Fachwelt. Dabei kamen zum Beispiel scheibenförmige Dentinstücke oder auch längliche Wurzelsegmente als "Knochenwandersatz"  zum Einsatz.
Einen anderen Weg ging die Arbeitsgruppe von Prof. Bindermann in Tel Aviv / Israel. Er arbeitete mit "Dentinchips". Diese bestehen aus zerkleinertem Zahnmaterial, mit dem Kieferdefekte quasi "aufgeschottert" wurden. Dabei stellte sich heraus, dass zu große Fragmente vom Körper abgestoßen werden, wo hingegen zu kleine Fragmente zu schnell vom Körper resorbiert werden. Es muss deshalb ein spezieller Mahl und Filterprozess verwendet werden, der eine Korngröße von 0,3-1,2 mm erzeugt. Das geschieht mit einer entsprechenden Mahl- und Filtermaschine. Außerdem muss die mineralische Oberfläche durch Zugabe von verdünnter Natronlauge und einer nachfolgenden Neutralisation mit einer Pufferlösung chemisch vorbehandelt werden, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Seit drei Jahren arbeitet auch unsere Praxis erfolgreich mit dieser Methode die Prof. Bindermann im Jahr 2013 erstmals vorgestellt hat.

Das partikelförmige Material fungiert bei der Heilung der Extraktionswunde als Platzhalter und Leitschiene für den neu einwachsenden Geflechtknochen, der zunächst die Spalträume zwischen den Zahnpartikeln füllt, bevor diese später vollständig ersetzt werden. Aus diesem Grund dürfen die "Dentinchips" auch nicht zu fein sein; der Körper braucht eine poröse Struktur als Gerüst und keinen "dichten Beton", der die einwachsenden Gewebestrukturen behindern würde.
Im Laufe der Zeit werden die Dentinchips und der neu entstandene Geflechtknochen im Rahmen der funktionellen "Remodellation" durch reifen Lamellenknochen ersetzt - es entsteht also 100% vitaler, normal strukturierter und normal belastbarer Knochen ohne Reste eines Fremdmaterials.

 Wichtig: Es können nur eigene Zähne verwendet werden - fremde Zähne könnten sich in ihren Eiweißkomponenten von den körpereigenen unterscheiden!

Die Kosten für dieses innovative biologische Verfahren liegen mit ca. 200.- € klar unter denen von "zugekauften" Knochenersatzmaterialien.  Sie bezahlen lediglich die sterile Mahl- und Sieb-vorichtung (Einmalprodukt!) und die notwendigen Reaktionslösungen. Den Zahn schenken Sie sich selbst!


Das Verfahren ist schonend und erfordert keinen zweiten Eingriff. Materialien tierischen Ursprungs werden vermieden. Die Aufbereitung  findet direkt nach der Zahnentfernung in unserem Labor statt. Nach ca. 25 Minuten kann das Knochenfach aufgefüllt werden. Der Bereich muss für zwei Wochen geschont und auf der anderen Seite gekaut werden. Es sollte zwei Tage nicht geraucht werden. Alles weitere können wir den Selbstheilungskräften unsres Körpers überlassen.


Fazit: Ein Patienten schonendes, kostengünstiges Verfahren, das die biologischen Heilungsprozesse des Körpers nutzt und hilft, die Dimensionen des Knochenfaches zu erhalten.


Bleiben Sie gesund - Ihre Praxis für Zahnerhaltung


Dr. Gudrun Flechsig und Dr. Tilman Flechsig




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