Die Zuckersteuer - Bevormundung oder Verantwortung durch den Staat?

Tilman Flechsig • 27. Dezember 2025

Ein Artikel aus den "Zahnärztlichen Mitteilungen" aus diesem Dezember. Wir zitieren ihn und glauben, das er eine gute Anregung für eigenen Überlegungen darstellt. Wir teilem den Standpunkt der Autoren Prof. Dr. Johan Wölber und Prof. Dr. Florian Bruns aus Dresden - an der Besteuerung hoch zuckerhaltiger Nahrungsmittel sollte sich etwas ändern.


Die Ernährung des modernen Menschen hat sich seit der Sesshaftwerdung und insbesondere seit der industriellen Revolution radikal von unseren biologischen Grundlagen entfernt. Unser Stoffwechsel und das mit uns evolvierte Mikrobiom sind nicht an die heutige, hochverarbeitete und zuckerreiche Kost angepasst [Alt et al., 2022]. Die Folge ist eine dramatische Zunahme nichtübertragbarer Krankheiten (NCDs) – von Adipositas und Diabetes über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Karies, Parodontitis, Gingivitis, den häufigsten Krankheiten der Menschheit [Marcenes et al., 2013; Murray et al., 2013; Woelber et al., 2023; Huang et al., 2023].

Diese Epidemie ist nicht die Summe individueller Fehlentscheidungen, sondern das Ergebnis einer fehlgeleiteten Ernährungsumwelt. Der Markt steuert unser Essverhalten stärker als jeder innere Kompass. Werbung, Preisgestaltung und Verfügbarkeit fördern vor allem den Konsum jener industriell hergestellten Produkte, die hohe Gewinnmargen versprechen – und hohe Gesundheitskosten verursachen. Damit wird das Prinzip der freien Entscheidung zur Illusion. Wer tagtäglich gezuckerte Produkte in jeder Werbepause, an jeder Supermarktkasse und in jeder Schulkantine präsentiert bekommt, entscheidet nicht wirklich frei. Noch dazu gilt für Süßigkeiten seit 1990 ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent, womit die entsprechenden Produkte künstlich verbilligt werden. Diese staatliche Subventionierung ist gesundheitspolitisch und ernährungsmedizinisch höchst fragwürdig.

Gleichzeitig gerät das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem an seine Grenzen. Krankheiten, die vermeidbar wären, verschlingen Milliarden an Gesundheitskosten [Watt et al., 2019]. Mehr Prävention ist auch volkswirtschaftlich ein Gebot der Stunde und darf sich daher nicht auf Appelle und Informationskampagnen beschränken. Aufklärung ist wichtig, aber sie erreicht vor allem jene, die ohnehin gesundheitsbewusst leben. Verhältnispräventive Maßnahmen wie Steuern oder Werbebeschränkungen wirken hingegen auch dort, wo individuelle Ansprache an ihre Grenzen stößt [Heilmann & Ziller, 2021].

Das Argument, eine Zuckersteuer beschneide die persönliche Freiheit, ist populär – aber falsch. Eine Steuer verbietet nichts, sie lenkt. Sie schafft Anreize, gesündere Entscheidungen zu treffen, ohne sie vorzuschreiben. Erinnert sei auch daran, dass es bis 1993 eine Zuckersteuer in Deutschland gab. Und Werbeverbote wiederum richten sich nicht gegen die Bevölkerung, sondern gegen die Industrie, die aus Abhängigkeit Kapital schlägt. Denn Zucker wirkt nachweislich gewöhnungsfördernd, wenn nicht gar abhängig machend [DiNicolantonio et al., 2018]. Wer abhängig ist, entscheidet nicht autonom.

Der Erfolg vergleichbarer Maßnahmen ist belegt: Die drastische Reduktion des Rauchens in den letzten Jahrzehnten verdanken wir nicht freiwilliger Einsicht, sondern konsequenter Regulierung – Besteuerung, Werbeverboten, Aufklärung. Kaum jemand würde heute behaupten, er vermisse die Zigarettenwerbung oder wolle wieder mehr mit Tabakrauch in Kontakt kommen. Warum also handeln wir beim Zucker so zögerlich? Während andere Länder längst Erfolge durch Lenkungsmaßnahmen verbuchen [Du et al., 2018], verharrt die Bundespolitik im Diskurs über vermeintliche Bevormundung. Dabei wäre eine Zuckersteuer ein Schritt hin zu echter Freiheit – der Freiheit von krankmachenden Strukturen, von manipulativer Werbung, von ökonomischen Zwängen, die Gesundheit zur Ware machen.

Eine Gesellschaft, die ihre Bürgerinnen und Bürger schützt, betreibt keine Verbots-, sondern Verantwortungspolitik. Die Zuckersteuer ist kein Eingriff in die Freiheit – sie ist ihr Schutzmechanismus.

von Tilman Flechsig 27. Dezember 2025
Über die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Zuckern, Zuckeraustauschstoffen und Süßstoffen haben wir in unserem Blog "Sinnvoller Umgang mit Süßungsmitteln" bereits berichtet. Darin ist auch die problematische Bewertung des Zuckeraustauschstoffes "Erythrit" nach neuen Studienergebnissen erwähnt worden. Sie finden ihn hier im Blogbereich, wenn Sie "show more" anklicken. Zusatzstoffe in Nahrungsmitteln können grundsätzlich problematisch sein, weil unser Körper und seine natürliche Bakterienausstattung möglicherweise nicht in der Lage sind, sie zu tolerieren, schadlos auszuscheiden oder schadlos zu verstoffwechseln. Einige dieser Stoffe kommen auch natürlich in Pflanzen vor (z. B.: die Zuckeralkohole), werden aber in höheren Mengen der Nahrung zugesetzt. Andere (insbesondere die synthetischen Süßstoffe) kommen in der Natur (vermutlich) nicht vor. Schon bei der Zulassung von neuen Stoffen müssen diese also entsprechend untersucht werden. Allerdings werden diese Stoffe auch nach der Zulassung weiterhin erforscht. Eine dieser Studien hat sich nun mit einem "Newcomer" unter den Süßstoffen befasst: Es geht um den relativ neuen synthetischen Süßstoff Neotam. Der Süßstoff Neotam ist seit 2009 unter der Nummer E961 in der EU zugelassen. Seine Süßkraft beträgt das 7000-13.000fache einer vergleichbaren Menge Haushaltszucker (Saccharose). Er wird als Süßstoff und Geschmacksverstärker in Limonaden, Kaugummis und Bonbons verwendet. Da er keine Auswirkungen auf den Insulin- und Blutzuckerspiegel hat, ist er grundsätzlich für Diabetiker geeignet. Die neue Studie (s. u.) hat die Diskussion über Neotam neu angefacht. In dieser " in-vitro-Studie " (nicht an Lebewesen) wurde gezeigt, das Neotam Darmzellen direkt und indirekt über eine Veränderung der Bakterien schädigen kann. Allerdings ist dies keine Beobachtung am Menschen, sondern ein Vorgang quasi "im Reagenzglas", bei dem isolierte Zellen und zwei Bakterienstämme 24 Stunden lang dem Süßstoff Neotam ausgesetzt wurden. Diese lange Verweildauer ist im Menschen eher unrealistisch, sofern süßstoffhaltige Speisen nicht permanent konsumiert werden. Die Ergebnisse der Studie können ein Hinweis darauf sein, das dieser Süßstoff das Darmepithel direkt oder durch Veränderung von Darmbakterien schädigen könnte. Schäden an den Epithelzellen der Darmwand führen zu einer erhöhten Durchlässigkeit der Darmwand, wodurch wiederum Stoffe aus dem Darm "ungefiltert" in den Körper eindringen und Entzündungen auslösen können.
von Tilman Flechsig 30. Dezember 2024
Warum mussten die Behandlungsrichtlinien verändert werden?
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Was ist in "Energy-Drinks" eigentlich drin?
von Tilman Flechsig 22. April 2024
Verwendet unsere Praxis noch Amalgam? Nein. Wir haben in unserer Praxis die Verwendung von Amalgam schon vor über 25 Jahren komplett eingestellt. Bei Kindern und Jugendlichen haben wir es nie verwendet. Im Jahr 2018 hat die EU die Verwendung des Materials bei Schwangeren und Kindern unter 15 Jahren verboten. Nur für diesen kleineren Personenkreis übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die höheren Kosten einer Kompositefüllung. Wir bieten in unserer Praxis sowohl kostenfrei als auch kostenpflichtige Alternativen zum Amalgam an. Alle Patienten werden vor der Behandlung über eventuell anfallende Kosten bei der Versorgung mit höherwertigen Materialien informiert. Welche Konsequenzen ein EU-Amalgamverbot für die zukünftige Kostenübernahme von Kompositefüllungen (" Kunststofffüllungen ") durch die Krankenkassen haben wird, können wir derzeit noch nicht abschätzen. Für das Jahr 2024 ändert sich erst einmal nichts.
von Tilman Flechsig 19. April 2024
Wie geht Umweltschutz in der Praxis?
von Tilman Flechsig 11. April 2024
Vor nicht allzu langer Zeit waren Karies (" Zahnfäule ") und lockere Zähne durch Parodontitis (" Zahnfleischschwund ") die Hauptursachen für den Verlust von Zahnsubstanz und Zähnen. Erfreulicherweise hat sich das geändert: Durch die verbesserte Mundhygiene bleiben mehr und mehr Menschen weitgehend kariesfrei und das Zahnfleisch und der Zahnhalteapparat werden gesund erhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten rücken andere Schadensformen an den Zähnen mehr und mehr in den Vordergrund. Es sind Substanzverluste an den Oberflächen der Zähne, die durch mechanische ("Zähneknirschen", beschleunigter Zahnabrieb) oder chemische (Säureschäden) Einflüsse zu massiven Formveränderungen der Zähne, zum Absinken der Bisshöhe oder zum Freiliegen von empfindlichen Zahnarealen führen. Nach dem kompletten Verlust des schützenden Schmelzmantels liegt dann das Zahninnere, das Dentin frei, was zudem zu stark schmerzempfindlichen Zähnen führen kann. Natürlicher Oberflächenverlust (= Physiologische Demastikation) Jedes Gebiss unterliegt normalerweise einem kontinuierlichen Abrieb durch die Nahrungsbestandteile und die jeweilige Gegenbezahnung bzw. durch den Einfluss von natürlichen Säuren aus der Nahrung. So haben 20jährige in nur drei Prozent der Fälle einen stark sichtbaren Abriebsverlust (Abrieb bis in das mittlere Dentindrittel), wohingegen 70jährige diesen zu 17 Prozent aufweisen. Über 80% der 70jährigen haben zwar gealterte, aber grundsätzlich intakte Zahnoberflächen. Im Normalfall müssten unsere Zähne vom Abrieb her für ein ganzes Leben halten, weil wir in 10 Jahren nur etwa 0,3 mm an Zahnschmelz verlieren. Da der Schmelzmantel der Zähne im Bereich der Kaufläche ca. 1,5 mm dick ist, sollten wir die ersten 50 Jahre der Zahnnutzung ohne Freilegung von Dentin schaffen. Dies gilt umso mehr, als wir in unseren "modernen Zeiten" die Zähne nicht mehr als Werkzeug nutzen oder auf Steinen gemahlenes Mehl zu uns nehmen müssen. Das Mehl mit dem Sandzusatz wirkte in früheren Zeiten zu Brot gebacken wie Schmirgelpapier. Gebisse von Menschen, die vor mehr als 250 Jahren lebten, zeigen einen deutlich höheren Substanzverlust als heutzutage üblich. Es ist grundsätzlich sehr wichtig, krankhafte Substanzverluste schon in einem frühen Stadium zu entdecken, um massive Schäden und hohe Folgekosten für aufwendige Zahnrekonstruktionen zu vermeiden. Insbesondere kann sich der Abrieb verstärken, wenn das Dentin ("Zahnbein") an der Zahnoberfläche durch den vollständigen Verlust des Zahnschmelzes frei zu liegen beginnt, weil Dentin fünf mal weicher als Zahnschmelz ist. Was sind die Ursachen für einen beschleunigten Verlust von oberflächlicher Zahnsubstanz, der nicht durch Karies verursacht sind ? Wir unterscheiden hier zwei Schadensmechanismen, die im schlimmsten Fall kombiniert auftreten können:
von Tilman Flechsig 8. Februar 2024
Moderne Zahnerhaltung funktioniert . Immer mehr Menschen behalten immer mehr eigene Zähne bis in hohe Lebensalter. Dieser Erfolg wird für Deutschland durch repräsentative Studien bestätigt, zum Beispiel durch die fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) von 2016. Mehr eigene Zähne im Mund - das ermöglicht Zahnärzten, in weit höherem Maße als früher Zahnersatz anzufertigen, der fest im Mund verankert ist, also Kronen und Brücken anzufertigen, statt wie früher einen herausnehmbaren Zahnersatz herzustellen. Die Lebensqualität der so versorgten Menschen ist höher, der Kaukomfort und die Kauleistung steigen. Dieser Trend wird durch den Einsatz von Zahnimplantaten noch verstärkt, weil diese strategische eingesetzten künstlichen Zahnwurzeln die Möglichkeiten der fest sitzenden Verankerung für Zahnersatz nochmals erweitern. Die Gruppe der Menschen, die zahnlos und mit einer Totalprothese versorgt sind, wird kleiner. Diese erfreuliche Entwicklung hat allerdings auch eine Schattenseite. Wo früher Totalprothesen mit einer "Kukident"-Reinigungstablette über Nacht im Wasserglas auf dem Nachttisch gereinigt werden konnten, müssen nun auch im hohen Alter die eigenen Zähne im Mund gepflegt werden. Mit steigendem Lebensalter treffen zwei Entwicklungen aufeinander: Zum einen steigt mit höherem Alter die Gefahr für Karies gegenüber dem mittleren Alter an. Freiliegende Zahnhälse, vergrößerte Zahnzwischenräume und abgenutzte Schmelzareale sowie eine geringere Speichelproduktion vergrößern die Anfälligkeit für Karies. Einschränkungen bei der Mundhygiene (Beweglichkeit von Schulter, Arm und Fingern, Sehschärfe etc.) begünstigen die Entstehung schädlicher Bakterienbeläge auf den Zahnoberflächen. In besonderem Maße sind Menschen gefährdet, die pflegebedürftig sind und noch eigene Zähne haben. Hier vergrößert sich der allgemeine Pflegebedarf durch die technisch herausfordernde Pflege der Zähne noch einmal deutlich. Und gerade in diesem Bereich gibt es zur Zeit noch die größten Defizite sowie einen hohen Informationsbedarf. Für Angehörige und Pflegende gibt es seit eine sehr informative Informations- und Lernplattform im Internet: https://mund-pflege.net/ Auf dieser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Plattform werden eine Vielzahl von Informationen und praktische Tipps gegeben. Die Kapitel sind durchgehend bebildert, frei von Werbung und gut verständlich. Ein Blick auf diese Seite lohnt sich für jeden!
von Tilman Flechsig 28. Oktober 2023
Das Problem des Biofilms
von Tilman Flechsig 27. Oktober 2023
Testbericht über die neue elektrische Zahnbürste oral-b iO10.
von Tilman Flechsig 26. September 2023
In dem Beitrag wird erklärt, dass auch beim Vorliegen einer Schilddrüsen-Unterfunktion (z. B.: Hashimoto-Thyreoditis) die normale Zahnpflege mit fluoridierten Zahnpflegeprodukten problemlos möglich ist.