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Macht Fluorid in der Zahnpasta unsere Kinder dumm?

Tilman Flechsig • Juli 08, 2020

Kurze Antwort: Nein!
Für die lange Antwort lesen sie die unten stehenden Zeilen oder fragen sie ihren Zahnarzt oder Apotheker.

Alle Jahre wieder geistern neueste Studienergebnisse aus der weiten Welt zum Thema "Fluoride" durch die Presse. Leider nicht die langweiligen, die das Bekannte wiederholen: Fluoride in der Zahnpasta vermindern die Kariesrate bei Kindern und Erwachsenen deutlich und ersparen uns Löcher, Schmerzen und Kosten. Das wissen wir längst und sind an weiteren Details meist wenig interessiert.
Viel aufregender sind Meldungen wie die Überschrift dieses Blogs. "Sorry" für diesen billigen Trick! Aber was ist an dem Thema dran?

Die Wirkungen von Fluoriden* bei Aufnahme in den menschlichen Körper haben eine deutliche Dosis-Wirkung-Beziehung, d. h. erst bei einer Überdosierung stellen sich negative Wirkungen ein. In geringen Dosen lokal auf die Zahnoberfläche gebracht, hat es eine (zahn-)gesundheitsfördernde Wirkung. Dass  Fluorid nicht zu den "Spurenelementen" wie Eisen, Jod oder Kupfer zählt, hat damit zu tun, dass es nicht lebensnotwendig ist. Niemand stirbt oder wird krank, weil ihm Fluorid fehlt. Auch gibt es völlig kariesfreie Menschen, die keine fluoridierten Zahnpflegeprodukte benutzen.

Die meisten veröffentlichten Studien stammen aus Ländern mit einer Trinkwasserfluoridierung. In diesen Ländern interessiert man sich natürlich für die Frage, welche Konzentration die beste ist und ob unerwünschte Nebenwirkungen zu befürchten wären. Auch sind manche hohen Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser oder der Nahrung auf industrielle Verunreinigungen  zurückzuführen, können also auch ein Indikator für Umweltverschmutzung und weitere Umweltgifte sein. In Deutschland wird nirgendwo Fluorid dem Trinkwasser zugesetzt, auch findet sich bis auf wenige vulkanische Gebiete (z. B.: Eifel) fast nirgendwo nennenswerte Mengen "natürliches Fluorid" im Trinkwasser. Trinkwasser wird in Deutschland streng kontrolliert, es besteht also keine Gefahr der Vergiftung, weil ich  zu viel Leitungswasser trinke.

Alle Studien zur Trinkwasserfluoridierung sind Assoziationsstudien.  Sie fragen: "Wenn ich dies finde, finde ich auch das?" Diese Studien sind leider meist nur für Fachleute zu interpretieren und können Zusammenhänge suggerieren, wo keine sind. Häufig finden sich sogenannte Scheinkorrelationen. Ein bekanntes Beispiel für eine Scheinkorrelation ist der statistisch belegte Zusammenhang zwischen der Zahl der Storchenbrutpaare und der Geburtenrate in verschiedenen Regionen Europas. Aus dem mathematisch tatsächlich bestehenden Zusammenhang lässt sich nicht folgern, das Störche die Babys...**
Da Zeitungsmeldungen Aufmerksamkeit erzeugen wollen, werden durch redaktionelle Vereinfachungen der Presse oft Aussagen veröffentlicht, die sich in den Originaltexten der Wissenschaftler nicht finden. Manchmal erliegen aber auch Wissenschaftler der Versuchung, einen "echten Knüller" zu produzieren und tricksen ein wenig, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Der "Zusammenhang" von Fluoridaufnahme und kindlicher Intelligenz ist in diesen Studien entweder nicht vorhanden, sehr schwach ausgeprägt, betrifft  nur Jungen oder tritt erst ab sehr hohen Fluoridkonzentrationen auf. Alle Studien haben das methodische Problem, die exakte Fluoridaufnahme nur schätzen zu können (etwa über den Wohnort) und die Fluoridkonzentration im Körper nicht direkt messen zu können, sondern nur indirekt über  Fluorid im Urin bestimmen zu können, was zu sehr starken Schwankungen und weiteren Einflussfaktoren (Nierenfunktion) führt. Die Ergebnisse der Studien zeigen deshalb auch gewaltige Streuungen der Messwerte, die eine einfache "wenn-dann-Aussage" nicht zulassen.

Die systemische Fluoridaufnahme eines Durchschnittsdeutschen beträgt etwa 0,34 mg am Tag. Dabei stammen etwa 0,1 mg aus fluoridiertem Speisesalz und 0,24 mg aus dem Trinkwasser. Die Menge könnte sich bei starkem Konsum von Mineral- oder Heilwässern mit sehr hoher Fluoridkonzentration noch erhöhen***. Die Ganzkörper-Fluoridaufnahme erfolgt also im Wesentlichen durch die Nahrung und nicht durch Zahnpflegeprodukte. Fluoride aus der Zahnpasta werden kaum systemisch aufgenommen, da die Zahnpasta nach der Benutzung ausgespuckt wird. Ein wissenschaftlich begründeter Rat könnte also lauten: Bitte essen Sie Zahncreme nicht in großen Mengen, es hilft Ihren Zähnen nicht, da Fluorid nur lokal an den Zähnen seine schützende Wirkung entfaltet und nicht, wenn es verschluckt wird.
Keine der weltweit 23 Studien aus den Jahren 2012 bis 2019 zum Thema "systemische Fluoridaufnahme und Kindesentwicklung" macht irgend eine Aussage zur Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta oder spricht hierzu eine Empfehlung aus! Es wurden in diesen Studien auch keine Daten zur Verwendung von Mundhygieneprodukten erhoben. Einen Zusammenhang zwischen Fluoriden in der Zahnpasta und der Intelligenz oder Gesundheit von Kindern hat keiner der beteiligten Forscher vermutet oder beschrieben.

Es bleibt also festzuhalten:
Der bestimmungsgemäße Gebrauch von fluoridierter Zahnpasta ist sicher!
Kein Kind wird dümmer (oder kränker), weil es mit fluoridierter Zahnpasta putzt!
Mit grosser Wahrscheinlichkeit profitiert die Zahngesundheit Ihres Kindes deutlich vom Gebrauch fluoridierter Zahnpasta!

Wir wünschen Ihren Zähnen gesunde Nahrung, gute Pflege und eine Prise Fluorid jeden Tag!
Bleiben Sie gesund!

Ihr Praxisteam Dr. Gudrun Flechsig und Dr. Tilman Flechsig

Anhang:

* Fluor ist ein sehr reaktionsfreudiges Element der Halogengruppe (7. Elementgruppe des Periodensystems), welches in der Natur sofort mit anderen Elementen zu verschiedenen Salzen reagiert, den Fluoriden. Der bekannteste Vertreter ist Fluorit (CaF2), ein natürliches Mineral. In flüssigen Medien (Wasser, aber auch Zahnpasta) lösen sich diese Salze, durch diese Dissoziation entsteht ein geladenes Atom, das Element tritt nun als Fluoridion (F-) auf. 

** Der dem Phänomen zugrunde liegende Zusammenhang ist der Unterschied ländliche Region / städtische Region. In ländlichen Regionen brüten mehr Störche und wohnen mehr kinderreiche Familien.

*** Eine Liste mit Fluoridgehalten verschiedener Mineralwässer finden Sie unter:
https://kinderaerzte-tuttlingen.de/downloads.d/fluoridgehalt-im-mineralwasser.pdf
Ein Fluoridgehalt von 0 bis 0,69 mg F-  pro Liter (Klasse I bis II) gilt auch für Kinder als unbedenklich und können den Hinweis "zur Zubereitung von Säuglingsnahrung geeignet“ tragen, Mineralwässer von 0,7 bis 1,5 mg pro Liter (Klasse III) müssen in der Fluoridbilanz berücksichtigt werden (dann kein fluoridiertes Speisesalz verwenden) und sind für Säuglinge ungeeignet. Mineralwässer mit einem Fluoridgehalt von über 1,5 mg pro Liter müssen den Fluoridgehalt auf dem Etikett deklarieren und sind für Kinder ungeeignet.

Für Freunde von Youtube und My-Thi Nguyen-Kim das Video zu Fluorid in Zahnpasten:
https://www.youtube.com/watch?v=yg3b8hcUDQs
Und noch zur "Mexiko-Studie":
https://www.youtube.com/watch?v=tAHWL3pgOp8

Für angehende Wissenschaftler: Eine gute Übersicht über die vorhandenen Studien, leider auf Englisch:
Sabine Guth, Stephanie Hüser und Angelika Roth
Toxicity of fluoride: critical evaluation of evidence for human developmental neurotoxicity in epidemiological studies, animal experiments and in vitro analyses
https://link.springer.com/article/10.1007/s00204-020-02725-2



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Verwendet unsere Praxis noch Amalgam? Nein. Wir haben in unserer Praxis die Verwendung von Amalgam schon vor über 25 Jahren komplett eingestellt. Bei Kindern und Jugendlichen haben wir es nie verwendet. Im Jahr 2018 hat die EU die Verwendung des Materials bei Schwangeren und Kindern unter 15 Jahren verboten. Nur für diesen kleineren Personenkreis übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die höheren Kosten einer Kompositefüllung. Wir bieten in unserer Praxis sowohl kostenfrei als auch kostenpflichtige Alternativen zum Amalgam an. Alle Patienten werden vor der Behandlung über eventuell anfallende Kosten bei der Versorgung mit höherwertigen Materialien informiert. Welche Konsequenzen ein EU-Amalgamverbot für die zukünftige Kostenübernahme von Kompositefüllungen (" Kunststofffüllungen ") durch die Krankenkassen haben wird, können wir derzeit noch nicht abschätzen. Für das Jahr 2024 ändert sich erst einmal nichts.
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Vor nicht allzu langer Zeit waren Karies (" Zahnfäule ") und lockere Zähne durch Parodontitis (" Zahnfleischschwund ") die Hauptursachen für den Verlust von Zahnsubstanz und Zähnen. Erfreulicherweise hat sich das geändert: Durch die verbesserte Mundhygiene bleiben mehr und mehr Menschen weitgehend kariesfrei und das Zahnfleisch und der Zahnhalteapparat werden gesund erhalten. In den letzten zwei Jahrzehnten rücken andere Schadensformen an den Zähnen mehr und mehr in den Vordergrund. Es sind Substanzverluste an den Oberflächen der Zähne, die durch mechanische ("Zähneknirschen", beschleunigter Zahnabrieb) oder chemische (Säureschäden) Einflüsse zu massiven Formveränderungen der Zähne, zum Absinken der Bisshöhe oder zum Freiliegen von empfindlichen Zahnarealen führen. Nach dem kompletten Verlust des schützenden Schmelzmantels liegt dann das Zahninnere, das Dentin frei, was zudem zu stark schmerzempfindlichen Zähnen führen kann. Natürlicher Oberflächenverlust (= Physiologische Demastikation) Jedes Gebiss unterliegt normalerweise einem kontinuierlichen Abrieb durch die Nahrungsbestandteile und die jeweilige Gegenbezahnung bzw. durch den Einfluss von natürlichen Säuren aus der Nahrung. So haben 20jährige in nur drei Prozent der Fälle einen stark sichtbaren Abriebsverlust (Abrieb bis in das mittlere Dentindrittel), wohingegen 70jährige diesen zu 17 Prozent aufweisen. Über 80% der 70jährigen haben zwar gealterte, aber grundsätzlich intakte Zahnoberflächen. Im Normalfall müssten unsere Zähne vom Abrieb her für ein ganzes Leben halten, weil wir in 10 Jahren nur etwa 0,3 mm an Zahnschmelz verlieren. Da der Schmelzmantel der Zähne im Bereich der Kaufläche ca. 1,5 mm dick ist, sollten wir die ersten 50 Jahre der Zahnnutzung ohne Freilegung von Dentin schaffen. Dies gilt umso mehr, als wir in unseren "modernen Zeiten" die Zähne nicht mehr als Werkzeug nutzen oder auf Steinen gemahlenes Mehl zu uns nehmen müssen. Das Mehl mit dem Sandzusatz wirkte in früheren Zeiten zu Brot gebacken wie Schmirgelpapier. Gebisse von Menschen, die vor mehr als 250 Jahren lebten, zeigen einen deutlich höheren Substanzverlust als heutzutage üblich. Es ist grundsätzlich sehr wichtig, krankhafte Substanzverluste schon in einem frühen Stadium zu entdecken, um massive Schäden und hohe Folgekosten für aufwendige Zahnrekonstruktionen zu vermeiden. Insbesondere kann sich der Abrieb verstärken, wenn das Dentin ("Zahnbein") an der Zahnoberfläche durch den vollständigen Verlust des Zahnschmelzes frei zu liegen beginnt, weil Dentin fünf mal weicher als Zahnschmelz ist. Was sind die Ursachen für einen beschleunigten Verlust von oberflächlicher Zahnsubstanz, der nicht durch Karies verursacht sind ? Wir unterscheiden hier zwei Schadensmechanismen, die im schlimmsten Fall kombiniert auftreten können:
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